Wie Krankenkassen mit Hilfsmittelverträgen den Markt umbauen
Verfasst: 01.07.2018, 02:39
Hallo @all,
ich schildere euch mal die Ausgangssituation:
Ich benötigte dringend neue Versorgungsmaterialien, konnte berufsbedingt (weil ich täglich insgesamt mind. 4 h mit dem ÖPNV zusätzlich zur Arbeitszeit fahre) weder zum Arzt noch sonstwohin. Am 29. März (Gründonnerstag und vorletzte Platte auf dem Bauch) habe ich es wenigstens geschafft, meinen Herzallerliebsten mit meiner Gesundheitskarte zu meinem Arzt zu schicken. Er ist dann mit dem von mir telefonisch bestellten Rezept zur Apotheke gegangen, über die ich seit Jahren meine Versorgungsmaterialien bestelle und erfuhr, dass der Apotheker sich nicht mehr in der Lage sieht, mich zu beliefern.
Was war passiert?
Die Tk hat einen ab 1. Januar 2018 gültigen neuen Hilfsmittelvertrag aufgelegt, dem alle Versorger beitreten können, wenn sie wollen. Nur: Gleichzeitig haben sie die Vergütung so weit abgesenkt, dass Versorger, die keine großen Mengen ordern können (und deshalb keine günstigen Preise bei Herstellern und im Großhandel erhalten), dem Vertrag nicht mehr beitreten können. O-Ton meines Apothekers: "Ich würde Sie auch zum Nulltarif versorgen, aber nun muss ich bei jeder Ihrer Bestellungen 50 EUR aus eigener Tasche drauflegen."
Unmittelbare Auswirkungen
Mein Mann rief mich fassungslos auf der Arbeit an und ich habe dann erstmal mit dem Apotheker und der TK telefoniert. Die TK meinte, ich hätte in Kiel ja noch 2 weitere Versorger vor Ort, die dem Vertrag beigetreten wären. Mit denen habe ich dann ebenfalls telefoniert und erfahren, dass keiner für mich außerhalb meiner Arbeitszeiten erreichbar ist.
Dazu muss man wissen, dass ich in den letzten Jahren ein für mich perfektes System installiert hatte: Ich war zwar jedes Quartal mit meiner Karte beim Arzt... Wenn ich neue Materialien brauchte, habe ich dann aber nur dort angerufen und darum gebeten, dass sie das Rezept in der Apotheke im Erdgeschoss abgeben. Der Apotheker hatte dann immer schon nachmittags meine Bestellung da. Und wenn der Apotheker Feierabend gemacht hat, hat er mir die Sachen auf dem Heimweg zu Hause vorbeigebracht. Ich war immer kurz vor ihm da. Das passte.
Nun sah es so aus, als müsste ich mir zukünftig einen Urlaubstag nehmen, um mein Rezept von A nach B zu tragen und einen weiteren, um die Ware abzuholen.
Ich habe mir die Finger und die Ohren wundtelefoniert und letztlich zumindest erreicht, dass ich mir die Versorgungsmaterialien jetzt in einer Filiale des Sanitätshauses (einer der zwei Versorger) in Bahnhofsnähe abholen kann. Die haben bis 20 Uhr geöffnet, sind aber nicht glücklich, dass sie sich jetzt mit Stoma-Versorgung beschäftigen müssen. ("Das macht so viel Arbeit. Das machen wir hier deshalb nicht mehr.")
Zurück in den zeitlichen Ablauf: Am Ostersonntag die letzte Platte geklebt. Am Mittwoch sollte ich meine Ware abholen können. Sie hatten am Bahnhof aber leider nicht das richtige bekommen (plane 43 mm Platten passen nicht). Also alles zurück. Wieder telefoniert mit TK und der Zentrale des Versorgers. TK meinte, ich könnte mir das ja auch vom bundesweiten Versorger postalisch an die nächste Packstation schicken lassen. ... öhem... Bei uns im Stadtteil gibt es keine, weshalb auch das 2 Tage Urlaub wären.
Das mich jetzt versorgende Sanitätshaus hat dann eine Stomaberaterin beauftragt, mir zunächst alles bereitzustellen, was sie an richtigem Durchmesser gerade da hat. So kam ich vor noch dem nächsten Wochenende zu dem, was man im Krankenhaus in solchen Fällen so bekommt.
Da plane Platten wegen meiner Stoma-Anlage in der Bauchfalte nicht gut halten, hatte ich übers Wochenende die Menge durch, die ich sonst in einer ganzen Woche benötige. Und als ich in der nächsten Woche meine Versorgungsmaterilien abholen konnte, waren sie zur Hälfte schon wieder verkehrt: Man kann 55 mm Tupperdosen einfach nicht mit einem 43 mm Deckel verschließen.
Längerfristige Folgen:
Als ich endlich die richtigen Versorgungsmaterialien in der Hand hatte, war meine Bauchdecke nicht mehr daran angepasst. Ich habe meine 3-Monats-Ration binnen eines Monats verkleben müssen. Auch die zweite Bestellung beim neuen Versorger war übrigens wieder zur Hälfte verkehrt. So etwas kannte ich bisher nicht. Mein Apotheker hatte mich da echt mit einem super-gutem Service verwöhnt.
Bis Mitte Juni, also fast 12 Wochen, habe ich mit den Auswirkungen in der Form zu tun gehabt, dass die Versorgung weit weniger lange auf meinem Bauch gehalten hat, als zu vor. Dazu gehört bei mir auch, dass ich Schiss habe, dass mir die Versorgung am Arbeitsplatz vom Bauch fällt. Das bedeutet für mich nämlich, dass ich mindestens 2 Stundenmit Sch+++e bis an die Hacken nach Hause unterwegs bin...
Ob es noch länger so bleibt, dass die Lieferung nicht der Bestellung entspricht, kann ich noch nicht absehen.
Was mich am meisten ankotzt:
Liebe Grüße
Birgit
ich schildere euch mal die Ausgangssituation:
Ich benötigte dringend neue Versorgungsmaterialien, konnte berufsbedingt (weil ich täglich insgesamt mind. 4 h mit dem ÖPNV zusätzlich zur Arbeitszeit fahre) weder zum Arzt noch sonstwohin. Am 29. März (Gründonnerstag und vorletzte Platte auf dem Bauch) habe ich es wenigstens geschafft, meinen Herzallerliebsten mit meiner Gesundheitskarte zu meinem Arzt zu schicken. Er ist dann mit dem von mir telefonisch bestellten Rezept zur Apotheke gegangen, über die ich seit Jahren meine Versorgungsmaterialien bestelle und erfuhr, dass der Apotheker sich nicht mehr in der Lage sieht, mich zu beliefern.
Was war passiert?
Die Tk hat einen ab 1. Januar 2018 gültigen neuen Hilfsmittelvertrag aufgelegt, dem alle Versorger beitreten können, wenn sie wollen. Nur: Gleichzeitig haben sie die Vergütung so weit abgesenkt, dass Versorger, die keine großen Mengen ordern können (und deshalb keine günstigen Preise bei Herstellern und im Großhandel erhalten), dem Vertrag nicht mehr beitreten können. O-Ton meines Apothekers: "Ich würde Sie auch zum Nulltarif versorgen, aber nun muss ich bei jeder Ihrer Bestellungen 50 EUR aus eigener Tasche drauflegen."
Unmittelbare Auswirkungen
Mein Mann rief mich fassungslos auf der Arbeit an und ich habe dann erstmal mit dem Apotheker und der TK telefoniert. Die TK meinte, ich hätte in Kiel ja noch 2 weitere Versorger vor Ort, die dem Vertrag beigetreten wären. Mit denen habe ich dann ebenfalls telefoniert und erfahren, dass keiner für mich außerhalb meiner Arbeitszeiten erreichbar ist.
Dazu muss man wissen, dass ich in den letzten Jahren ein für mich perfektes System installiert hatte: Ich war zwar jedes Quartal mit meiner Karte beim Arzt... Wenn ich neue Materialien brauchte, habe ich dann aber nur dort angerufen und darum gebeten, dass sie das Rezept in der Apotheke im Erdgeschoss abgeben. Der Apotheker hatte dann immer schon nachmittags meine Bestellung da. Und wenn der Apotheker Feierabend gemacht hat, hat er mir die Sachen auf dem Heimweg zu Hause vorbeigebracht. Ich war immer kurz vor ihm da. Das passte.
Nun sah es so aus, als müsste ich mir zukünftig einen Urlaubstag nehmen, um mein Rezept von A nach B zu tragen und einen weiteren, um die Ware abzuholen.
Ich habe mir die Finger und die Ohren wundtelefoniert und letztlich zumindest erreicht, dass ich mir die Versorgungsmaterialien jetzt in einer Filiale des Sanitätshauses (einer der zwei Versorger) in Bahnhofsnähe abholen kann. Die haben bis 20 Uhr geöffnet, sind aber nicht glücklich, dass sie sich jetzt mit Stoma-Versorgung beschäftigen müssen. ("Das macht so viel Arbeit. Das machen wir hier deshalb nicht mehr.")
Zurück in den zeitlichen Ablauf: Am Ostersonntag die letzte Platte geklebt. Am Mittwoch sollte ich meine Ware abholen können. Sie hatten am Bahnhof aber leider nicht das richtige bekommen (plane 43 mm Platten passen nicht). Also alles zurück. Wieder telefoniert mit TK und der Zentrale des Versorgers. TK meinte, ich könnte mir das ja auch vom bundesweiten Versorger postalisch an die nächste Packstation schicken lassen. ... öhem... Bei uns im Stadtteil gibt es keine, weshalb auch das 2 Tage Urlaub wären.
Das mich jetzt versorgende Sanitätshaus hat dann eine Stomaberaterin beauftragt, mir zunächst alles bereitzustellen, was sie an richtigem Durchmesser gerade da hat. So kam ich vor noch dem nächsten Wochenende zu dem, was man im Krankenhaus in solchen Fällen so bekommt.
Da plane Platten wegen meiner Stoma-Anlage in der Bauchfalte nicht gut halten, hatte ich übers Wochenende die Menge durch, die ich sonst in einer ganzen Woche benötige. Und als ich in der nächsten Woche meine Versorgungsmaterilien abholen konnte, waren sie zur Hälfte schon wieder verkehrt: Man kann 55 mm Tupperdosen einfach nicht mit einem 43 mm Deckel verschließen.
Längerfristige Folgen:
Als ich endlich die richtigen Versorgungsmaterialien in der Hand hatte, war meine Bauchdecke nicht mehr daran angepasst. Ich habe meine 3-Monats-Ration binnen eines Monats verkleben müssen. Auch die zweite Bestellung beim neuen Versorger war übrigens wieder zur Hälfte verkehrt. So etwas kannte ich bisher nicht. Mein Apotheker hatte mich da echt mit einem super-gutem Service verwöhnt.
Bis Mitte Juni, also fast 12 Wochen, habe ich mit den Auswirkungen in der Form zu tun gehabt, dass die Versorgung weit weniger lange auf meinem Bauch gehalten hat, als zu vor. Dazu gehört bei mir auch, dass ich Schiss habe, dass mir die Versorgung am Arbeitsplatz vom Bauch fällt. Das bedeutet für mich nämlich, dass ich mindestens 2 Stundenmit Sch+++e bis an die Hacken nach Hause unterwegs bin...
Ob es noch länger so bleibt, dass die Lieferung nicht der Bestellung entspricht, kann ich noch nicht absehen.
Was mich am meisten ankotzt:
- Es ist nicht die Aufgabe einer Krankenkasse, mit Hilfe des von ihr gemachten Preises den Markt umzubauen. Was maßt die TK sich an, die Preise so zu gestalten, dass kleine Versorger aus dem Markt gedrängt werden? Seitens der Politik hat sie keinen Auftrag dafür.
- Wie mag es den Patientinnen und Patienten ergehen (ergangen sein), die nicht wie ich ihre Klappe aufreißen können?
- Es mag sein, dass es Personen mit einem "normalen" Stoma nicht so sehr betroffen hätte. Warum müssen Härtefälle mir z.B. schwer zu versorgenden Stomata oder schwierigen Lebensbedingungen nicht auch besonders berücksichtigt werden?
Liebe Grüße
Birgit