Hallo Christian,
bei mir waren und sind immer wieder noch Existenzsorgen dabei. Zunächst bin ich Alleinverdiener, mein Mann hat meistens keinen Arbeitsplatz. Meine Tochter steckt noch im Studium und bekommt Unterhalt von mir. Hinzu kommt, dass ich mehrere Behinderungen habe und ich für alles zusätzlich Ausgaben habe. Zur Zeit stehen noch kleine OPs an, die ich im Moment in meinen Urlaub plane, wenn irgendwie möglich. Zum einen, weil ich nicht möchte, dass mein Arbeitgeber alles mitbekommt und meine Arbeitskraft in Frage stellen könnte. Zum anderen will ich nicht so viel fehlen. Außerdem habe ich noch sehr viel Resturlaub, den ich gerade langsam abbaue.
Meine große Stütze ist mein Mann mit seiner positiven Einstellung, dass es immer einen Weg geben wird, trotz seiner eigenen Misere keine Arbeitsplatz zu finden.
Beraten wird man heute noch weniger als vor 20 Jahren, weil einfach die Töpfe scheinbar leerer sind als damals. Vieles bekommt man schwerer oder gar nicht mehr. Man denke nur an die Erwerbsunfähigkeitsrente oder das Arbeitslosengeld.
Jedoch bin ich mit einer Behinderung geboren und habe sehr schnell verstanden, dass man in einer Welt von "Normalos" mehr als 100% leisten muss. Es dauerte immer ein paar Jahre bis meine Arbeitgeber gesehen haben, dass ich meine Einschränkungen ausgleichen kann.
Also Existenzangst begleitet mich mehr oder weniger schon mein ganzes Leben. Immer wieder muss ich feststellen, dass ich viel härter um eine Arbeitsplatzstelle kämpfen muss als andere. Klar wegen meiner Einschränkungen und daraus folgend bin ich manchmal anders. Denke auch anders. Ich arbeite als einer der wenigen Hörgeschädigten im sozialen Bereich. Es war als Teenager mein Traum Heilerziehungspflegerin zu werden. Viele haben dagegen gesprochen, vor allem meine Lehrer damals in der Schwerhörigenschule. Für diese Lehrer gab es nur Berufsbildungsschule für Schwerhörige. Meine Mutter hat sehr für mich gekämpft. Meine Ausbildung habe ich als erste Schwerhörige an einer Schule für Hörende gestartet. Das war so erfolgreich, dass diese Schule heute sogar gehörlose Menschen ausbildet.
Einmal war ich nach der Ausbildung arbeitslos. Die zuständige Mitarbeiterin sagte mir, Sie sind behindert, da finden Sie nie einen Arbeitsplatz. Doch ich boxte mich weiter durch.
Als ich 25 Jahre alt war, meine Tochter gerade 1 Jahr alt, erkrankte mein erster Mann schwer. Ihn pflegte ich, neben meiner vollen Berufstätigkeit und Kind erziehen, 9 Jahre. Schließlich verstarb er.
Keiner weiß, was Behörden einem für Steine in den Weg legen. Es gibt wenige Ausnahmen, die einem wirklich helfen.
Traurig muss ich nur feststellen: Letztens war ich für ein paar Tage in Florenz. In Italien bekam ich in vielen Museen bzw. kulturelle Einrichtungen kostenlosen Eintritt. In Deutschland kaum denkbar, eine kleine Ermäßigung. Sehr schwierig wird es für HARTZ IV - Empfänger, diese werden hier außer in Berlin, gänzlich von kulturellen Angeboten ausgeschlossen, weil es schlicht keine Ermäßigung gibt!
Auch die Toiletten für Schwerbehinderte aufsuchen in Italien kein Problem, in Deutschland teilweise sehr schwierig.
Dennoch in gewisser Weise habe ich Routine bekommen. Man wird ruhiger, denn man weiß: Eines Tages geht man den letzten Weg im Leben.
So nun glaube ich, das war schon zu viel.
Trotzdem lass ich alles stehen.