Hallo zusammen,
jetzt machen wir hier erstmal Schluss mit dem "erfahrene" gegen "neue" Forums-Mitglieder. Wir sitzen alle im selben Boot und sind erwachsen genug um hier Diskussionen zu führen, die uns allen weiter helfen.
Leider sind in der Diskussion hier gerade einige Dinge durcheinander gelaufen, deshalb hier eine längere Antwort. Nicht das neue Stomaträger etwas falsch einordnen. Übrigens halte ich alle, die sich hier an der Diskussion beteiligt haben, für "erfahren" was das Stoma betrifft
Also los geht's:
Es geht hier um eine Colostoma-Versorgung, wie Heribert angemerkt hat. Bei einem Colostoma gibt es die Empfehlung von 90-120 geschlossenen Stomabeuteln im Monat, also 3-4 pro Tag, definiert als durchschnittlicher Bedarf eines einzelnen Colostoma-Trägers. Heribert, du bist eine Ausnahme mit der Verwendung von offenen Ausstreifbeuteln, sie werden in der Regel bei einem Ileostoma verwendet und beim Colostoma eigentlich nur dann, wenn die Ausscheidungen eher breiig bis flüssig sind anstatt fest, wie es beim Colostoma typischerweise ist.
Unabhängig davon kann es immer sein, dass grundsätzlich oder vorübergehend mehr Beutel benötigt werden. Hier beziehen sich dann viele Krankenkassen und auch Versorger auf den gerade beschriebenen Durchschnitts-Bedarf und verweigern zunächst die Lieferung zusätzlicher Stomabeutel. Der Hintergrund ist recht simpel, aber für uns als Versicherte unserer Krankenkassen nicht immer transparent:
die meisten Krankenkassen in Deutschland zahlen den Versorgern eine monatliche Pauschale, die auf Basis des oben genannten Durchschnitts-Bedarfs kalkuliert wird. D.h. jeder Versorger freut sich, wenn einer seiner Kunden weniger Beutel verbraucht als der Durchschnitt. Und hat ein Problem mit jedem Kunden, der mehr benötigt, weil ihm das den Verdienst schmälert. Denn die Pauschale der Kasse ist gesetzt und es gibt auch für den Versorger bei höherem Bedarf nicht einfach mehr Geld von der Kasse. Zusätzlich sinken die Pauschalen der Krankenkassen stetig, wir sind vor knapp 10 Jahren mit Monats-Pauschalen um die 250 Euro gestartet, die niedrigste Pauschale liegt heute im Sommer 2019 bei ca. 110 Euro.
Aus Sicht der Krankenkassen ist ein Mehrbedarf erstmal kein Problem. Von den Kassen erhalten wir Stomaträger immer die Aussage, dass wir alles bekommen, was wir tatsächlich benötigen. So wie es auch gesetzlich zugesichert ist, wie schon richtig angemerkt wurde. Allerdings bauen die Kassen dabei darauf, dass die Vertragspartner (unsere Versorger, Homecare und Sanitätshäuser) eine "Mischkalkulation" machen. Also der erste Stoma-Kunde eines Versorgers benötigt weniger Stomabeutel als der Durchschnitt, der zweite genau soviel, der dritte mehr. Für jeden der drei bekommt der Versorger die gleich hohe Pauschale. Im Schnitt hat der Versorger mit jedem der drei Kunden den selben Umsatz gemacht.
Die Pauschalen der Krankenkassen sind aber mittlerweile so niedrig, dass einige Versorger bei einer Mischkalkulation nicht mehr mit Gewinn rausgehen, also an der Stomaversorgung nicht mehr genug verdienen. Deshalb wird oft auf den Einzelfall geschaut und Stomaträger mit überdurchschnittlich hohem Verbrauch laufen plötzlich gegen eine Wand, wie es hier formuliert wurde.
Die Krankenkassen gehen damit folgendermaßen um: einzelne Krankenkassen genehmigen einen "Mehrbedarf", wenn dieser z.B. vom Hausarzt begründet wird. Das ist zumindest unsere Erfahrung aus den Rückmeldungen, die wir von euch erhalten. Offiziell sagen uns die meisten Kassen, dass es bei ihnen für die Stomaversorgung keine Mehrbedarfsregelung gibt und
immer nur die Pauschale gezahlt wird.
Die Versorger wiederum haben z.B. folgende Strategien (agieren nicht alle gleich, soll heißen ich will hier keinem Versorger irgendetwas unterstellen, nur zusammenfassen was wir von euch an Rückmeldungen erhalten und selbst erleben):
- was nicht von der Pauschale abgedeckt ist, wird als "Eigenanteil" in Rechnung gestellt
- was nicht von der Pauschale abgedeckt ist, wird einfach verweigert
- wir werden auf andere Produkte umgestellt, die für den Versorger im Einkauf günstiger sind
- auch schon erlebt: Kunde wird aufgefordert, sich einen anderen Versorger zu suchen
- ... könnte noch mehr Dinge aufzählen
Ich stimme euch zu, viele Stomaträger, Angehörige und Pflegende wissen nicht, wie sie in solchen Situationen ihre Rechte durchsetzen sollen. Sie laufen gegen die Wand, geben auf und arrangieren sich irgendwie mit der Situation.
Wer selbst genug über das "System" weiß, weil er sich in so einer Situation mal durchgekämpft hat, beruflich mit unserem Gesundheitssystem zu tun hat/hatte oder sich Hilfe holt, wie hier im Forum oder von Selbsthilfevereinen, setzt sich in der Regel auch durch und bekommt am Ende die Stomaversorgung, die er oder sie auch tatsächlich benötigt. Ohne selbst was aus der eigenen Tasche draufzahlen zu müssen.
Das empfehlen wir als Selbsthilfeverein:
- Keine Pauschal-Verordnungen (= Rezepte) ausstellen lassen! Das sind letztendlich Freifahrtscheine. Viele Versorger gehen damit zwar verantwortungsvoll um, aber es gibt leider auch Versorger die sich damit den Weg eröffnen, euch auf andere Stomaversorgungen umzustellen, die für sie selbst im Einkauf günstiger, für eure persönlicher Situation aber nicht optimal sind.
Der Arzt ist der einzige der verbindlich festlegen darf, was bei euch auf den Bauch kommt. Auf dem Rezept sollte also nicht stehen "Stomaversorgung für Ileostoma für drei Monate" sondern jedes einzelne Produkt mit Hilfsmittelnummer und benötigter Menge.
- Besorgt das Rezept selbst, überlasst das nicht eurem Versorger! Viele Versorger bieten als "Service" an, dass sie sich auch um das Rezept kümmern. Ihr habt dann keine Kontrolle darüber, was tatsächlich verordnet wurde und mit welcher Menge. Und ihr selbst habt ein Mitspracherecht, welche Beutel bei euch auf den Bauch kommen.
Sprecht mit eurem Versorger die Platten, Stomabeutel, Paste und was ihr sonst noch benötigt ab und lasst euch alles, inkl. der benötigten Menge pro Monat, schriftlich vom Versorger bestätigen. Und geht damit zum Hausarzt und lasst euch das Rezept ausstellen.
Es ist übrigens auch in diesem Fall kein Problem, wenn man drei Wochen später was an der Versorgung ändern muss. Habe ich gerade selbst ohne Probleme durch, Versorger und Hausarzt habe ich dabei eingebunden.
- Bei Problemen ist eure Krankenkasse der richtige Ansprechpartner! Wenn es Probleme gibt und ihr euch mit eurem Versorger über die tatsächlich benötigte Stomaversorgung nicht einig werdet, dann ist eure Krankenkasse der richtige Ansprechpartner! Und zwar die Hilfsmittelabteilung der Krankenkasse und nicht der Filial-Mitarbeiter vor Ort. Tut mir leid, aber die Mitarbeiter in den Filialen haben meist keinen Plan wie die Stomaversorgung in ihrem eigenen Haus im Detail geregelt ist, noch dürfen sie selbst was entscheiden. Also bei der Kasse anrufen und bis zur Hilfsmittelabteilung durchfragen.
Die Krankenkasse ist dafür verantwortlich, dass ihr die richtige Stomaversorgung erhaltet und auch die tatsächlich benötigte Menge, und zwar kostenfrei (ihr müsst nur die gesetzliche Zuzahlung von 10 Euro im Monat leisten, nicht mehr!). Eure Krankenkasse klärt eure Beschwerde mit dem Versorger, der ja Vertragspartner eurer Krankenkasse ist und damit sozusagen der verlängerte Arm der Kasse, da sie die Stomaversorgung nicht selbst für euch bereitstellt. Oder anders gesagt, die Versorger arbeiten im Auftrag eurer Krankenkasse.
Danke fürs durchlesen bis zum Schluss
Und das ist kein Abschluss-Statement, lasst uns weiter diskutieren.
Viele Grüße,
Christian