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Rückverlegung bei Rollstuhlfahrer

Oft ist das Stoma nur vorübergehend notwendig. Aber die Situationen nach der Rückverlegung sind so unterschiedlich wie die Ursachen, die zum Stoma geführt haben. Tauscht hier eure Fragen und Erfahrungen zur Stoma-Rückverlegung aus.
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8 Beiträge • Seite 1 von 1

Rückverlegung bei Rollstuhlfahrer

Beitrag von Nicolas86 » 23.09.2020, 23:38

Hallo,

ich bin 34 Jahre alt und sitze aufgrund einer Muskelerkrankung im Rollstuhl. Seit November 2012 habe ich aufgrund eines Darmdurchbruchs wegen einer Divertikulitis im Rahmen einer Notoperation ein Colostoma bekommen.

Bis jetzt klappt die Stomaversorgung bis auf kleinere Pannen sehr gut. Da ich weder gehen noch stehen kann, hatte ich immer Schwierigkeiten unterwegs auf Toilette zu gehen, da ich mich immer umsetzen lassen musste und man mir irgendwie meine Hose runterwursteln und am Ende wieder hochwursteln musste. Dadurch bedeutete das Stoma für mich am Anfang auch Freiheit. Deshalb beschloss ich mich damals erst mal gegen eine Rückverlegung.

Dennoch wächst in mir immer mehr der Wunsch, das Stoma wieder rückverlegen zu lassen. Ich würde gerne wieder einen glatten Bauch haben ohne Beutel dran. Ich wünsche mir einfach wieder ein Stück mehr Normalität.

Im Juli war ich in der Chirurgie und habe mich dort bei einem Arzt zum Thema Rückverlegung informiert. Er sagte mir, dass eine Rückverlegung technisch möglich sei. Diese würde aber bei mir auch aufgrund einer langen Kortisonbehandlung in zwei Operationen durchgeführt. Einmal die Rückverlegung und die Anlage eines doppelläufigen Ileostomas. Nach drei Monaten wird das Ileostoma wieder rückverlegt.

Er riet mir jedoch insgesamt von einer Rückverlegung ab. Er sagte, dass es passieren kann, dass die Naht nicht richtig zusammenwächst, bei meiner Notoperation hat aber alles auf Anhieb geklappt. Und ich kann eine Embolie bekommen, was aber bei jeder OP passieren kann. Und es kann passieren, dass ich die Narkose nicht vertrage und einen Luftröhrenschnitt benötige, bisher hatte ich jedoch schon mehrere Vollnarkosen, die ich immer vertragen habe. Dann sprach er noch davon, dass ich inkontinent sein könnte, nach der Rückverlagerung. Und die Pflegesituation wird danach erschwert, obwohl das ja meine Sorge sein wird. Er argumentierte, warum soll ich einen guten Status quo aufgeben, aufgeben und eine ungewisse Situation haben.

Aber dennoch habe ich den Wunsch, mein Stoma wieder rückverlegen zu lassen. Wenn ich nicht im Rollstuhl säße, wäre, denke ich, bei meiner Situation logisch, dass das Stoma wieder rückverlegt wird.

Wie denkt ihr darüber. Bin ich verrückt, dass ich das Stoma trotz der Schwierigkeiten rückverlegen möchte oder ist das ein nachvollziehbarer Wunsch?

Viele Grüße,
Nicolas

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Nicolas86

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Rückverlegung bei Rollstuhlfahrer

Beitrag von Merlina » 24.09.2020, 20:27

Hallo Nicolas,

ich finde, dass Dein Wunsch absolut nachvollziehbar ist! Du bist jung und willst Dein Leben optimal auskosten, und das ist selbstverständlich auch Dein gutes Recht!
Du kennst die Risiken, und bist scheinbar bereit sie zu tragen. Der Preis, den Du bei Nichtgelingen zahlst ist, dass eine weitere OP erforderlich ist. Dann hast Du vermutlich lebenslang ein Stoma, wirst es aber auch besser akzeptieren können, weil Du alle Chancen genutzt hast, ohne leben zu können.

Grundsätzlich wird der Erfolg einer RV von Deiner Grunderkrankung beeinflusst werden, und vom Zustand und der Restlänge Deines Dickdarms.

Wenn Du eine Divertikulitis hattest, wird der Darm evtl. nicht so einen großen Schaden genommen haben.
Probleme mit der Kontinenz könntest Du dann haben, wenn die Naht sehr nah am Anus gemacht wird. So, dass die Linea dentata betroffen ist - ein Nervengeflecht, dass die Kontinenz, speziell die Nachtkontinenz steuert.
Ansonsten wirst Du vermutlich noch sehr viel Dickdarmanteil haben. Da dann die Konsistenz eher fester ist, weil der DD ja entwässert, wird das die Kontinenz unterstützen. Es gibt Aussagen, dass die Konsistenz des Stuhls nach der RV so wie die mit Stoma ist.
Außerdem ist sicher der Zustand Deines Schließmuskels wichtig!

Grundsätzlich ist es natürlich richtig, dass die vom Chirurgen beschriebenen Risiken da sind, das weißt Du ja auch. Und es ist sicher klug, den schlimmsten Fall einzubeziehen und alles abzuwägen. Aber Du kennst Dich selbst am besten, und wirst prüfen, ob Du unerreichbaren Träumen nachhängst, oder Du realistische Chancen hast das zu schaffen. Und ob Dir der Preis einer erneuten Stomaanlage und damit insgesamt drei OP‘s anstelle von einfach-so-weitermachen zu hoch ist, falls der Versuch misslingt.

Ich würde mich als erstes in die OP-Berichte und alle Befunde der ersten OP einlesen, damit Du den Zustand Deines Darmes kennst.
Dann würde ich, falls Du es nicht schon tust, eine optimale Ernährung für mich suchen.
Außerdem würde ich Schliessmuskeltraining machen, ggfs. von einer/m Physiotherapeutin/en unterstützt.
Und ich würde mir eine zweite Meinung einholen, und einen spezialisierten Chirurgen aufsuchen. Es gibt sicher Chirurgen, die sich mit der Rollstuhlthematik auskennen, und Deine Grunderkrankung in diesem Zusammenhang einbeziehen und einschätzen können. Vielleicht schreibt im Forum noch jemand was dazu.

Es gibt einen schönen Spruch von Anais Nin:
„Und es kam der Tag, da das Risiko in einer Knospe zu verharren schmerzlicher wurde, als das Risiko zu blühen.“
:roseSchenken:
Ich drücke Dir die Daumen, dass Du eine gute Lösung für Dich findest.

LG von Merlina

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Merlina

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Rückverlegung bei Rollstuhlfahrer

Beitrag von Nicolas86 » 25.09.2020, 01:45

Hallo Merlina,

vielen Dank für deine ermutigende Antwort.

Heute Mittag habe ich mit der Stomatherapeutin der Klinik gesprochen. Sie meinte, dass vor der Rückverlegung unbedingt eine Sphinktermanometrie durchgeführt werden muss, um festzustellen, wie gut der Schließmuskel noch funktioniert.

Gerade habe ich noch dem Arzt, der mich in der Klinik beraten hat, eine E-Mail geschrieben und den OP-Bericht angefordert. Mir liegt nämlich nur der Entlassbrief vor.

Viele Grüße,
Nicolas

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Nicolas86

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Rückverlegung bei Rollstuhlfahrer

Beitrag von Merlina » 26.09.2020, 07:55

Guten Morgen Nicolas,

wunderbar, dann hast Du ja schon viel in Bewegung gesetzt. Du hast es ja auch nicht eilig, und kannst Dein Vorhaben gut prüfen und planen.
Vielleicht gehabt ja noch jemand im Forum einen Hinweis für Dich.

Ein schönes Wochenende wünscht Dir Merlina

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Merlina

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Rückverlegung bei Rollstuhlfahrer

Beitrag von Nicolas86 » 26.09.2020, 16:48

Hallo Merlina,

ich habe dem Arzt, der mich im Juli beraten hat, eine E-Mail geschrieben. Als Antwort schrieb er mir, dass die Sphinktermanometrie gar nicht mehr durchgeführt werden, sondern stattdessen die ärztliche rektale Untersuchung mit dem Finger, sowie der Wasserhalteversuch.
Außerdem fragte ich nach der Länge des entfernten Stücks des Sigmadarms. Das sind 15,5 cm (bei einer Körpergröße von 127 cm).

Viele Grüße,
Nicolas

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Nicolas86

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Rückverlegung bei Rollstuhlfahrer

Beitrag von Nicolas86 » 30.09.2020, 15:31

Hallo,

ich habe mit meiner Neurologin, die sich mit meiner Muskelerkrankung auskennt, gemailt. Sie riet mir aufgrund meiner Grunderkrankung von der Rückverlegung ab.

Ich würde das Stoma dennoch gerne wieder zurückverlegen lassen. Ich bin mir jedoch nicht sicher, woher dieser Wunsch bei mir kommt. Ist es nur der Wunsch nach mehr Attraktivität oder steckt da noch mehr dahinter? Was hat bei euch den Ausschlag gegeben, die Rückverlegung durchführen zu lassen?

Viele Grüße,
Nicolas

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Nicolas86

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Rückverlegung bei Rollstuhlfahrer

Beitrag von Merlina » 22.11.2020, 20:09

Hallo Nicolas,

ich hatte die Hoffnung, dass noch jemand seine Sicht mit Dir teilt, vielleicht meldet sich ja noch jemand.

Ich hatte ca. 2016 eine Untersuchung meines Schließmuskels, die sowohl mit dem Finger, als auch mit einer Sonde gemacht wurde. Die Sonde kann die Stärke des Halteversuchs rückmelden.
Diese Untersuchung wurde in einem Beckenbodenzentrum gemacht.

Deine Neurologin kann ihre Begründung beitragen, warum sie von Deinem Vorhaben abrät. Ich würde mir an Deiner Stelle eine medizinisch verwertbare Aussage dazu von ihr erbitten, wenn sie keinen richtigen oder aussagekräftigen Befund erstellt hat.

Weiter ist die Aussage des Beckenbodenzentrums und eines sehr erfahrenen Chirurgen/in (Colonproktologie) sinnvoll.
Ich würde mich in Deiner Lage erst entscheiden, wenn ich alle Fachbereiche dazu konsultiert hätte.

Ich habe mich gegen eine RV entschieden, weil meine Chancen auf ein unbelastetes Leben so sehr viel besser standen. Was gewesen wäre, wenn ich anders entschieden hätte, kann ich ja nicht wissen.
Es treibt mich aber doch oft der Gedanke um, ob ich mir Chancen auf einen „heilen“ Bauch, eine Art Unversehrtheit (die ja nur optisch ist) damit versagt habe.
Ich habe allerdings auch eine völlig andere Grunderkrankung, mit anderen Lebensumständen. Und ich bin 20 Jahre älter als Du.

Es gibt für mich immer wieder so etwas wie Scham, Ärger, Trauer über das was nun so ist wie es ist.
Aber grundsätzlich schätze ich mein Stoma und will die unglaubliche Freiheit, die ich seit der OP für mein Leben gewonnen habe, nicht mehr missen.
Hätte ich nicht auch noch eine Hernie, die für mich ein viel größeres optisches Problem darstellt als der Beutel, ginge es mir ziemlich gut.

Was die Partnerwahl und das Thema Attraktivität angeht, glaube ich, dass es keinen großen Unterschied macht. Die Liebe trägt so etwas. Und ein klarer und selbstbewusster Umgang mit dem Stoma kann jede gefühlte Unattraktivität zu einem großen Teil aufwiegen.

Ein Punkt war für mich, die ich vor der Stomaanlage massive und kaum steuerbare Durchfälle hatte, der Gedanke daran, dass ich selbst später als Pflegefall vermutlich mit einem unkontrollierbaren Schließmuskel für das Pflegeteam eine Zumutung wäre. Ich gebe zu, dass dieser Gedanke etwas widersinnig, sehr fatalistisch und blöd vorauseilend war, aber er war nun mal da.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Ärzte mich ungläubig angeguckt haben, als ich mich gegen die RV entschied. Eine sagte, ein Stoma käme für sie niemals infrage. Sie hatte keinerlei Verständnis für meine Entscheidung. Sie dachte für mich! Und so urteilte sie auch über mich!

Ich beschreibe Dir jetzt die umgekehrte Situation, aber letztlich hat Deine Frage ja diese beiden Pole in der Antwort.
Wenn Du so überzeugt bist von Deinem Wunsch, dann diskutiere das mit anderen Menschen/Freunden, die von Deinem Stoma wissen, aber vor allem informiere Dich bei Ärzten die wirkliche Fachkompetenz haben. Alle anderen haben nur eine Meinung.

Und zuletzt: Mach eine Mindmap o.ä., schreibe alle Faktoren auf, die Dich beschäftigen und die Du erfährst und für Dich relevant hältst. Das hilft dabei eine Lösung zu finden und ggfs. vorhandene Risiken (z.B. erneute Stomaanlage, Stuhlschmieren nachts, aufwändigere Tagesabläufe für Dich) zu tragen. Und es hilft gegen das Kopfkino.

Ich finde es gut, dass Du Dich so aktiv mit diesen Fragen auseinandersetzt und nicht einfach aufgibst und die Entscheidungen anderer so hinnimmst.
Es ist Dein Leben, Du gehst Deinen Weg und Du trägst am Ende die Konsequenzen Deines Handelns.

Also...wovon hängt Dein Lebensglück ab? Welche Werte sind wirklich wichtig für Dich? Was liegt unter diese Frage nach Rückverlegung bzw. gibt es etwas, was sie „verdeckt“?
Egal wie Du Dich entscheidest, es bleibt am Ende eine Variante übrig, deren Verlauf Du dann nicht mehr erfahren wirst.

LG von Merlina

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Merlina

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Rückverlegung bei Rollstuhlfahrer

Beitrag von Merlina » 23.11.2020, 10:06

Haallo Nicolas,

ich will noch einen weiteren Aspekt einbringen.

Nach so einer Operation, bei der eine körperliche Einschränkung durch ein negativ belegtes Zusatzteil (Beutel) sichtbar gemacht wird, aktivieren sich in uns vermutlich noch andere innere Prozesse, als wenn z.B. die Galle oder Gebärmutter entfernt wird, oder man einen Nagel ins Bein gesetzt bekommt.

Am Anfang nach so einer einschneidenden OP sind wir noch froh, dass alles besser ist und genießen die neue Freiheit.
Dann plätschert so ganz langsam die Realität tagtäglich in unser Bewusstsein und wir müssen uns endgültig damit abfinden.
Trotzdem entsteht in uns immer wieder der Traum und Wunsch dass der Bauch wieder glatt und heil ist. Alles wieder gut ist, und wenn es auch nur optisch ist.

Psychologen sprechen von den 5 Phasen der Krankheitsbewältigung.
Nach dieser Theorie geht jeder durch verschiedene emotionale Phasen, bis er in die Phase der Akzeptanz kommt.

Meine Erfahrung ist, dass immer wieder noch einmal einzelne Teile dieser Phasen aktiv werden wenn ich schlecht drauf bin, oder mich andere Themen belasten. Manchmal schiebe ich dann alles Unglück auf das Stoma.
Irgendwann stelle Ich dann fest, dass ich mich ständig mental im Mangelmodus befinde, statt mich an die Freiheit zu erinnern, die mir das Leben mit Stoma bringt.

Mir das immer wieder bewusst zu machen, hilft mir unglaublich dabei, ein positives Verhältnis zu meinem Stoma und zu meinem Leben mit ihm zu entwickeln.

Für mich ist es sehr wichtig ein möglichst unabhängiges Leben führen zu können.
Ein selbstbestimmtes Leben mit einem Maximum auch an Unabhängigkeit von meinem Körper, nicht nur von Personen.
Selbstbestimmtheit bedeutet nicht nur frei von Fremdbestimmung zu sein, sondern auch frei von der Unkontrollierbarkeit oder den „Versehrheiten“ meines Körpers und dem Kontrollverlust der dadurch entsteht.

Ich kann durch die Selbstbestimmtheit - trotz weiterer Einschränkungen - ein Maximum an Lebensqualität in meiner Situation erreichen.
Nur darum geht es. Und um die Freude und Freiheit, die daraus entsteht.

LG von Merlina

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Merlina

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